Europa muss eine Sozialunion werden

Demokratische Reformen und soziale Investitionen zur Rettung Europas

Das Brexit-Votum der BritInnen hat uns klar vor Augen geführt, dass die Enttäuschung über die herrschende Politik groß ist. Das Vertrauen in EntscheidungsträgerInnen und in Institutionen ist verloren gegangen. Im Vorfeld zum Referendum haben Unwissenheit und Desinformation die öffentliche Debatte bestimmt. Von beiden Seiten wurden absurde Argumente hervorgebracht. So meinte etwa Boris Johnson, dass die Unternehmen nach einem Brexit wieder höhere Löhne zahlen könnten, weil die schlechten EU-Mindeststandards wegfielen. Das ist besonders absurd, da es diese Standards im Lohnbereich gar nicht gibt.

Das Bremain-Lager hat es nicht geschafft, positive Botschaften zu formulieren. Statt zu betonen, wie das Vereinigte Königreich von der EU-Mitgliedschaft profitiert, wurden vielmehr die negativen Folgen eines Austritts hervorgehoben. So blieb es immer in erster Linie eine Brexit-Debatte, es ging kaum um einen Bremain.

Wenn führende PolitikerInnen und Regierungen die Europäische Union Jahrzehntelang als den Hort des Bösen darstellen, verwundert es nicht, wenn die Bevölkerung tief EU-skeptisch ist. Das muss auch die österreichische Bundesregierung dringend bedenken.

Die Reaktionen auf den Brexit zeigen, dass weder die britische Regierung noch die EU-Spitzen dazugelernt haben: Die Hauptsorge gilt dem Börsenkurs – zur vermeintlichen Rettung der britischen Wirtschaft denkt Finanzminister Osborne über eine massive Senkung der Unternehmenssteuer nach. ArbeitnehmerInnen ohne Job, ohne gewerkschaftliche Vertretung oder mit Null-Stunden-Verträgen bleiben weiter auf der Strecke.

Auch die EU hat mit einem neoliberalen Rundumschlag geantwortet. Handelskommissarin Cecilia Malmström will TTIP schnell und rasch abschließen, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich lange dagegen gewehrt, die nationalen Parlamente bei CETA mit einzubeziehen. Falsch war bereits vor dem Brexit das Entgegenkommen an die BritInnen, die Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen einzuschränken – ein klarer Bruch eines Grundrechts in der Union.

Eine der wichtigsten Aufgaben in den nächsten Monaten wird es, die Brexit-Verhandlungen so schnell wie möglich aufzunehmen und abzuschließen. Großbritannien darf die EU nicht über Jahre hinaus blockieren. Außerdem muß das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit endlich stärker genutzt werden. Es ermöglicht einer Gruppe von mindestens 9 Mitgliedstaaten Regelungen einzuführen, ohne dass sich alle EU-Länder daran beteiligen müssen. So sind dringend notwendige Reformen möglich. Angesichts der Blockadepolitik einiger Staaten – allen voran Polen und Ungarn – wohl der einzige Ausweg aus der totalen Stagnation.

Wir Grüne im Europaparlament fordern eine Abkehr vom fehlgeleiteten Spardiktat. Sogar US-Präsident Barack Obama hat bei seinem Besuch in Spanien betont, dass er in der aktuellen Sparpolitik der EU einen der Gründe für die schlechte wirtschaftliche Lage Europas sieht. Mehr denn je sind jetzt soziale und nachhaltige Investitionen sowie der Aufbau einer Sozialunion gefragt. Wir brauchen Mindeststandards für Löhne und Arbeitssuchende. Statt des REFIT Programms der Kommission (sog. bessere Rechtsetzung: EU-recht „schlanker, einfacher, effizienter“) müssten möglichst rasch jahrelang zurückgehaltene oder bereits in die Versenkung geschickte Gesetzesvorhaben, besonders im sozialen Bereich, verabschiedet werden: von der Mutterschutz-Richtlinie über die Finanztransaktionssteuer bis zu den Frauenquoten in Aufsichtsräten.

Wenn wir den Menschen in der EU keine attraktive Alternative zur kalten Wirtschafts- und Währungsunion anbieten können, werden Rechtsnationalisten und EU-ZerstörerInnen wie Marine le Pen in Frankreich weiter Siege für sich verbuchen und die Existenz der EU ernsthaft in Gefahr bringen.