Offener Brief an EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz: Kein EU-Budget ohne Seenotrettungsprogramm

Eine Gruppe EU-ParlamentarierInnen, darunter auch die Grüne EU-Delegation mit Moni Vana, Ulrike Lunacek und Michel Reimon, fordern ausreichende Mittel für die Flüchtlings-Seenotrettung. Andernfalls werden sie das EU-Budget blockieren. Bisher haben über 60 Europaabgeordnete aus sechs verschiedenen Fraktionen (Grüne/EFA, S&D, EVP, ALDE, GUE, EFDD) und 18 Mitgliedstaaten ihre Unterstützung zugesagt. Mit 376 Abgeordneten wäre eine Blockademehrheit erreicht.

Der offene Brief an EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Präsident, werter Martin Schulz,
Sehr geehrte Mitglieder des Europäischen Parlaments,

vor einigen Tagen haben Sie die Plenarsitzung mit einer Schweigeminute für 400 ertrunkene Flüchtlinge eröffnet. Sie haben eine aufrichtig bewegende Rede gehalten, Europas Grenze im Mittelmeer als die tödlichste der Welt bezeichnet und aufgezählt, wie viele derartige Schweigeminuten wir schon gehalten haben – fünf in den letzten zehn Monaten. Dann haben Sie gefragt, wann wir wohl die Nächste halten werden müssen.

Wenige Tage später sind wieder 700 Menschen im Mittelmeer ertrunken.
Wir sollten dazu nicht wieder schweigen.
Wir sollten klar Stellung gegenüber dem Rat und der Kommission beziehen.

Die besonders hohe Anzahl von Toten in diesem Frühling liegt auch daran, dass das von Italien allein finanzierte Rettungsprogramm „Mare Nostrum“ eingestellt wurde und das EU-finanzierte Frontex-Programm „Triton“ nur die Grenze abschotten soll, aber keine Menschenleben retten. Der Kostenunterschied liegt in einer Ersparnis von geschätzten 70 Millionen Euro.

Die Flüchtlingspolitik ist nicht unser Verantwortungsbereich als Mitglieder des Europäischen Parlaments, aber das Budget ist es. Wir können Rat und Kommission auffordern, endlich zu handeln – oder den fehlenden Betrag selbst erkämpfen. Noch vor dem Sommer fixieren wir das nächste Budget der Union. Es kann von Regierungen und Kommission nicht ohne Zustimmung des Parlaments beschlossen werden. Wir haben ein Veto-Recht.

Das Budget des Parlaments beträgt 1,8 Mrd EUR, das Gesamtbudget der Union 141 Mrd EUR. Wir brauchen nur 0,05 Prozent dieser Summe. Ja, das meiste davon wird sehr sinnvoll ausgegeben, aber es ist nichts sinnvoller, als die Leben tausender Menschen zu retten, darunter hunderte minderjährige Kinder.

Wir, die unterzeichnenden Abgeordneten, wollen das Geld zur Rettung dieser Menschen erkämpfen, gemeinsam, über Fraktionen und Mitgliedsstaaten hinweg. Wir werden gegen jedes EU-Budget stimmen, das kein mit Mare Nostrum vergleichbares oder besseres Rettungsprogramm vorsieht. Wir werden mit Kollegen und Kolleginnen sprechen und versuchen, eine Mehrheit für eine Blockade des Budgets für diesen Fall zu finden.

Sehr geehrter Herr Präsident,

wir ersuchen Sie, der Kommission und den Staats- und Regierungschefs diese Stellungnahme zur Kenntnis zu bringen. Und wir würden uns sehr freuen, wenn Sie persönlich sich unserer Forderung anschließen.

Mit freundlichen Grüßen.